Moderne Produktentwicklung basiert zunehmend auf der Simulation und Optimierung von virtuellen Produkten und Prozessen. Mathematische Modelle dienen dabei quasi als digitale Zwillinge des realen Produkts oder Prozesses und bilden die Basis für die Regelung und Optimierung von deren Design und Funktionalität. Die Modelle müssen ganz unterschiedlichen Anforderungen genügen: Wenn durch Simulation möglichst detaillierte Erkenntnisse über ein System gewonnen werden sollen, werden fein granulare Modelle benötigt. Bei Optimierung und Regelung hingegen sind eher grobe Modelle erforderlich, um die Komplexität überhaupt beherrschen zu können.
Die Herausforderung besteht darin, eine Modellhierarchie auf verschiedenen Skalen zu entwickeln, in der durch Modellkopplung die unterschiedlichen physikalischen und auch ökonomischen Phänomene der betrachteten Systeme passend abgebildet sind. Als Vorgehensweise hat sich im Kontext industrieller Anwendungen etabliert, mit ausreichend detaillierten Modellen zu beginnen. Anschließend werden Techniken zur ordnungsreduzierten Modellierung (MOR – Model Order Reduction) benötigt, um hinsichtlich der Genauigkeit und Rechengeschwindigkeit das Level zu erreichen, das vom jeweiligen industriellen Nutzer vorgegeben ist.
Das fachliche Ziel des jetzt bewilligten, europäischen industriellen Doktorandenprogramms ist es, die mathematischen Grundlagen und Methoden sowie die entsprechende Software für MSO (Modellierung, Simulation, Optimierung) und MOR in diesem Kontext zu entwickeln. Im Fokus stehen dabei Kopplungsmethoden, Modellreduktionsverfahren und Optimierungsmethoden. Damit die Ergebnisse möglichst breit einsetzbar sind, gilt es, systematisch einen gemeinsamen mathematischen Rahmen für ganz verschiedene Entwicklungen – etwa von Materialien für optische und elektronische Systeme oder von wirtschaftlichen Prozessen – abzuleiten.
Das EID hat eine Laufzeit von vier Jahren. Um die elf NachwuchsforscherInnen für die Herausforderungen in der multi-disziplinären und internationalen Zusammenarbeit zu trainieren, ist ihre wissenschaftliche Arbeit eingebettet in ein gemeinsam organisiertes Doktorandenprogramm, in dem Lehrveranstaltungen und Workshops sowohl fachliche Inhalte als auch Soft-Skills vermitteln. Sie werden von Tandems betreut, die aus jeweils einem akademischen und einem industriellen Vertreter bestehen, und verbringen mindestens die Hälfte der Zeit in einem Unternehmen, die übrige Zeit in einer Forschungseinrichtung.
Die Konsortialführung liegt beim Forschungszentrum Matheon (TU Berlin). Die weiteren akademischen Partner sind das WIAS (HU Berlin), U. Bremen, FAU Erlangen-Nürnberg, INRIA Paris, U. Linz, Polytechnico di Milano, Technological Institute of Industrial Mathematics (ITMATI) Santiago, SISSA Trieste und die BU Wuppertal. Darüber hinaus sind elf Industrieunternehmen aus sieben Ländern beteiligt, sowie das Europäische Servicenetzwerk EU-MATHS-IN.
European Industrial Doctorate Programs (EIDs) werden im Rahmen von Horizon 2020 von der EU gefördert. Sie sind eine Variante der Doktorandennetzwerke „Innovative Training Networks“, die im Rahmen der Marie Skłodowska-Curie Actions (MSCA) Karrierewege von Forscherinnen und Forschern fördern und insbesondere transnationale, interdisziplinäre und branchenübergreifende Mobilität unterstützen.